Matthias Bleyl

Spheres

Zur Ausstellung „Spheres“ von Heiner Thiel

Die Würdigung des Werkes eines Künstlers sollte besser nicht mit einer Polemik beginnen, doch scheint sie mir ausnahmsweise durchaus angebracht. Seit einigen Jahren hinterlassen die Kunstmärkte den Eindruck, von dreidimensionalen, raumfüllenden Installationen beherrscht zu sein. Sicher handelt es sich dabei um eines der vielen zyklischen Phänomene, die in diesem zugegebenermaßen schwer zu durch- und überschauenden Bereich seit einigen Jahrzehnten beobachtet werden können und daher nicht überbewertet werden sollten. Vermeintlich gelingt es der Installation, neue Horizonte zu öffnen und Herkömmliches zu überwinden. Zumindest aus der historisch geschulten Sicht verbietet sich die Überbewertung solcher Modeerscheinungen, wenn sich auch noch jedesmal eilfertige Vertreter der Kunstkritik bereit gefunden haben, die sich bemühten, gewinnsteigernde verbale Schützenhilfe zu leisten.

Nicht zuletzt dieser letzte Umstand bewirkt eine Art kollektiver Trübung des Blicks für anderes als die massenhaft angeschwollene Flut von Erzeugnissen aus der künstlerischen Bastelabteilung, so daß viele ernsthafte Bemühungen abseits davon gar nicht erst oder nur sehr schwer ins Wahrnehmungsfeld geraten. Hierzu gehört etwa auch das Überwinden der einst felsenfest erscheinenden Grenzen zwischen den herkömmlichen Kunstgattungen, vorzugsweise Malerei und Plastik, nicht jedoch durch Flucht in die raumbezogene Installation als einem völlig andersgearteten Feld, sondern mittels der ihnen selbst immanenten Qualitäten. Bei diesen handelt es sich im Bereich der Plastik notwendigerweise um die räumliche Form und im Bereich der Malerei um die Farbe.

Zu diesen gattungsübergreifenden Bemühungen gehören auch Heiner Thiels jüngste Arbeiten. Sie sind weder im Raum entfaltete Malerei noch farbig gefaßte Plastik. Das hier gegebene gestalterische Problem läßt sich so relativ einfach nicht fassen. Um die den Bereichen der Malerei bzw. Plastik wesensmäßig immanenten Qualitäten nicht nur zu kombinieren, sondern zu einem Dritten zu verschmelzen, bedarf es einer Synthese, die begrifflich nicht einfach zu bestimmen sein dürfte.

Heiner Thiel kommt von der räumlichen Gestaltung. Ihn interessiert daher vordringlich das Problem der realen Form, wie er es in jahrelanger Forschung in seinen früheren Arbeiten behandelt hat. Zu dem gesellt sich aber seit einiger Zeit das Interesse auch an der erscheingungshaften Form, womit Qualitäten ins Spiel kommen, die für gewöhnlich der Malerei vorbehalten sind. Sicher ist es für einen Plastiker nicht so einfach, wie es scheinen mag, sich einen ihm im Grunde wesensfremden Problembereich in gleicher Weise anzueignen, wie sein ureigenes Arbeitsgebiet; umgekehrt wird sich kaum ein Maler anmaßen, im dreidimensionalen Bereich sofort in gleicher Weise zu Hause zu sein, wie in der Malerei, die zu ergründen er sich Jahre und evtl. sogar Jahrzehnte bemühen mußte. Dennoch stellen die neuen Arbeit Heiner Thiels eine behutsam und geduldig erarbeitete, gelungene Synthese dar, also etwas wirklich Neues in seinem Schaffen, nicht bloß eine Variante bisheriger Problemlösungen.

Die Metallplatten kleinen und mittleren Formats befinden sich wie Malerei vertikal an der Wand und wirken aus einiger Distanz möglicherweise wie monochrome Malerei. Doch widerspricht dem zunächst die völlig unkörperliche Färbung, wie auch die Krümmung der Platten; der für die Malerei zutreffende und oft gebrauchte Begriff „Farbträger“ wäre verfehlt. Es handelt sich um eloxierte Metallplatten, deren Farbe sich chemophysischen Prozessen verdankt, also nicht durch Pigmentauftrag entsteht; deshalb gibt es auch keine auf Handarbeit verweisende Auftragsspuren. Vielmehr ist die Färbung so mit der Oberfläche des Metalls identisch, daß dessen Materialqualität erhalten bleibt und etwa als spezifischer und je nach Bewegung der Oberfläche variabler Glanz zur Geltung kommt, was nicht einmal bei einer auflackierten Lasurfarbe in gleicher Weise möglich wäre.

Es entsteht eine Art Farblicht jenseits der durch Malerei bereitgestellten Möglichkeiten. Eben darum handelt es sich nicht um eine extravagante Art monochromer Malerei, doch spricht auch noch ein weiterer, wesentlicher Grund dagegen. Die Metallplatten sind leicht gekrümmt, wölben sich besonders an den Ecken von der Wand weg auf den Betrachter zu, was einerseits zu geschwungenen Schattenzonen hinter ihnen und andererseits zu unterschiedlicher farblichthafter Intensität auf ihnen führt. So entstehen unausmeßbare Farbräume. Die Platten sind jedoch nicht lediglich quadratische Bleche, die an den Ecken aufgebogen wären, sondern präzise erstellte Kugelsegmente (worauf der Untertitel Sphere hinweist), also Ausschnitte von virtuellen Kugeln, deren geometrisch konzeptueller Ansatz noch die Herkunft aus Formproblemen der konkreten Kunst erkennen läßt. Steht der Betrachter im Mittelpunkt einer solchen virtuellen Kugel mit Durchmesser von bis zu einigen Metern, dann – und nur dann – erscheinen die Kanten der Objekte parallel und rechtwinklig, und ihre Wirkung wäre die einer ebenen Fläche, zeigten nicht gekrümmte Schatten hinter ihnen, bzw. Farbraumerscheinungen auf ihnen an, daß es räumliche Gebilde sein müssen. Hier scheint sich eine Diskrepanz der Wahrnehmung einzustellen, der nur die Standortveränderung entgegenzuarbeiten vermag. Hierzu fühlt sich der Betrachter geradezu aufgefordert, will er sich Klarheit über das Wahrgenommene verschaffen. Diese ist aber bei den Objekten nicht zu erlangen, doch führt die Annäherung immerhin zur Erkenntnis der tatsächlichen Dreidimensionalität des Objektes, ohne daß darüber seine farbräumliche Qualität verloren ginge.

Die ausschließlich den Bereichen Malerei und Plastik vorbehaltenen, wesensmäßigen Eigenschaften sind nicht nur unabhängig voneinander angewendet worden, sondern haben in diesen Objekten tatsächlich zusammengefunden und sind nicht mehr voneinander lösbar. Heiner Thiel schafft damit eine Synthese, etwas wesensmäßig Anderes, was in seinem Werk einen erheblichen Qualitätsschub bedeutet.